Ein Besuch auf dem Greentech Festival in Berlin
Am 17. September 2020 durfte ich dabei sein, als kreative Geister, Innovatoren, Vordenker, Nachdenker, Unternehmensberater und Vertreter von fossilen Industrieunternehmen zusammenkamen, um bei der zweiten Edition des Greentech Festivals Lösungen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu präsentieren und zu diskutieren. Geladen hatten Nico Rosberg und sein Team, die das Greentech Festival 2019 ins Leben gerufen haben, um Menschen für Zukunftstechnologien zu begeistern und einen entsprechenden Wandel zu mehr Nachhaltigkeit in Gang zu bringen.
Im ehemaligen Heizkraftwerk Mitte – einem Industriebau, der in den 60er Jahren Berliner Haushalte mit fossiler Wärme versorgte – werden die Teilnehmer zu roboter-erzeugten Klängen von Moritz Simon Geist empfangen. Wäre da nicht das Publikum, das in der Mehrheit aus männlichen Anzugträgern besteht, würde ich mich eher in einem Techno-Tempel wähnen als in einer Konferenz-Venue. Das ist auch kein Wunder, beherbergte das Kraftwerk doch ab 2006 den angesagten Club Tresor.
Nun also GreenTech …
Die Innovationen
Festival-Sponsor Salesforce, den man vor allem durch vertriebsfördernde Cloud-Lösungen kennt, eröffnet die Veranstaltung mit Berichten über die eigenen science-basierten Ziele und Projekte, wie die Salesforce Sustainability Cloud oder die Unterstützung für 1t.org.
Außerdem ging es beim Festival um die Themen Energie, Kohlenstoffbindung, Ernährung, Mobilität und Finanzen. Spannende neue Lösungen und Start-Ups konnten sich präsentieren. Hier eine Auswahl:
Foto credit: Solar Foods
Solar foods
Sich von Luft und Liebe ernähren – Solar Foods aus Finnland wollen es möglich machen, jedenfalls fast.
Mit ihrem Produkt Solein hat das Clean-Tech Unternehmen ein Proteinpulver entwickelt, dessen Produktion ohne Landwirtschaft auskommt. Das Verfahren entspricht in etwa einem Gärungsprozess, der unter Zufuhr von CO2, Wasser- und Stickstoff verläuft. Das CO2 kann direkt aus der Umgebungsluft herausgefiltert werden.
Das Produkt ähnelt dem Aussehen und Geschmack von Weizenmehl. Solein hat einen Eiweißanteil von über 50% und kann als Ergänzungsmittel vielen Nahrungsmitteln verwendet werden. Negative Umwelteinflüsse sind wesentlich kleiner als bei Fleisch- und Fleischersatz-Produkten und der Preis soll außerdem mit dem von Sojaprotein konkurrieren.
Agrilution
Das Unternehmen Agrilution dagegen setzt auf Eigenanbau, und das in der heimischen Küche.
Eine eigene intelligente, automatische vertikale Farm verspricht das Unternehmen, wo Salate, Microgreens und Kräuter wachsen und täglich frisch geerntet werden können.
In den kühlschrankähnlichen Pflanzkästen mit LED-Licht, Saatmatten und Bewässerungssystem werden die passenden Bedingungen geschaffen, eine App überwacht das Ganze und meldet Erntereife. Transportwege, der Einsatz von Pestiziden und andere schädliche externe Einflüsse entfallen.
Mit einem Preis von knapp 3000 Euro ist der sogenannte Plant Cube allerdings noch nicht für jedermann erschwinglich.
Foto Credit: Climeworks
Climeworks
Climeworks hat eine Technologie entwickelt mit der man Kohlendioxid aus der Luft absorbieren kann. Das Unternehmen hat sich das ehrgeizige Ziel gestellt, den Klimawandel umzukehren. Das aufgefangene CO2 wird entweder gelagert oder als Rohstoff verwendet.
Eine Pilotfabrik ist schon in Betrieb und der weltweit erste CO2-Beseitigungs-Service ist angelaufen. Die Anlage besteht aus modularen CO₂-Kollektoren, die gestapelt werden können, um Maschinen jeder Größe zu bauen.
Im nächsten Schritt gilt es nun, das aufgefangene Kohlendioxid einer sinnvollen Nutzung zuzuführen.
Carbonauten
Auch mit den Biokohlenstoffen, die das Start-Up Carbonauten aus pflanzlichen Abfällen der Land- und Forstwirtschaft sowie der Holz- und Lebensmittelindustrie herstellt, wird der Atmosphäre CO2 entzogen. So speichert eine Tonne Biokohlenstoff dauerhaft mehr als 3 Tonnen CO2. Aber sie können noch mehr.
Die Biomaterialien der Carbonauten sind kostengünstig und können erdölbasierte Kunststoffe ersetzen oder ergänzen, zum Beispiel als Dämm- oder Verpackungsmaterial. Nach der Verwendung kann es wieder in Kohlenstoff umgewandelt oder zur Bodendüngung genutzt werden.
Ein weiterer ‚Nebeneffekt‘ der Karbonisierungs-Technologie besteht in gehörigen Energieüberschüssen, so dass sich ihr Einsatz auch für Stadtwerke oder Kommunen lohnen kann, die Reststoffe loswerden wollen und Energie benötigen.
Bereits bis Ende diesen Jahres soll in einem ehemaligen Stahlwerk in Brandenburg ein Modul in industriellem Maßstab eingesetzt werden.
Foto Credit: Carbonauten
Foto Credit: Ocean Clean Up
Ocean Clean Up Project
Nichts geringeres als das größte Reinigungs-Projekt der Geschichte möchte Ocean Clean Up werden.
Das Team um den niederländischen Studenten Boyan Slat hat eine passive Methode entwickelt, die die natürlichen Kräfte des Ozeans nutzt, um die Ozeane schnell und kostengünstig vom darin vorhandenen Plastikmüll zu befreien.
Allerdings ist es wichtig, das Problem an der Wurzel zu packen und dafür zu sorgen, dass möglichst gar kein Plastik in die Ozeane gelangt. Deshalb hat das Ocean-Cleanup-Team nun auch eine skalierbare Lösung entwickelt, um Plastik in Flüssen effizient abzufangen, bevor es die Ozeane erreicht. Ein Prozent aller Flüsse verursacht 80% der Verschmutzungen in den Weltmeeren. Diese sollen nun in Angriff genommen werden.
Und nun, da der erste ‚Fang‘ aus dem Great Pacific Garbage Patch an die Küste zurückgebracht wurde, ist es der nächste Schritt, diesen wiederzuverwenden und schöne, nachhaltige Produkte daraus herzustellen. Im Oktober sollen die ersten davon der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Notpla
Notpla will Verpackungsmüll völlig verschwinden lassen. Ein Team aus Designern, Ingenieuren und Chemikern hat eine Reihe von Material und Produkten aus Meeresalgen und Pflanzen entwickelt, die Verpackungen aus Einwegplastik ersetzen können und die biologisch abbaubar sind.
Das Unternehmen begann 2014 mit dem Produkt “Ooho”, einer flexiblen Verpackung für Wasser und andere Flüssigkeiten. Es wird aus Extrakten von Meeresalgen und Pflanzen hergestellt, die allesamt Lebensmittelzutaten und daher essbar sind.
Ein weiteres Produkt ist die die Notpla-Beschichtung. Sie macht Verpackungen aus Pappe ohne Zugabe von Kunststoff fettundurchlässig, ist völlig natürlich, zu Hause kompostierbar und damit vor allem zum Transportieren von Mahlzeiten geeignet.
Meeresalgen sind aufgrund ihrer Nachhaltigkeit und ihres schnellen Wachstums ein fantastisches Basismaterial. Sie konkurrieren nicht mit Land oder Nahrungspflanzen, benötigen kein Süßwasser, entsäuern die Ozeane und binden CO2. Um dafür zu sorgen, dass der Anbau von Meeresalgen nach nachhaltigen Prinzipien erfolgt, ist Notpla Mitglied der Seaweed Europe Coalition.
Foto Credit: Notpla
Volocopter
Urbane Mobilität mit dem Flugtaxi – Das ist die Mission von Volocopter, einem senkrecht startenden, elektrisch betriebenen und autonom fliegenden Lufttaxi, das vor allem für Kurzstrecken geeignet ist.
Seit neun Jahren tüftelt man im Unternehmen daran, Passagierdrohnen zum sicheren, schnellen und emissionsfreien Verkehrsmittel zu machen und ein komplettes ‚Urban Air Mobility Ökosystem‘ zu entwickeln. Dazu gehören neben dem Flug im Taxi auch die Buchungs- und Start- und Landeinfrastruktur.
Im Herbst 2019 hob der Prototyp des Flugtaxis erstmals über einer deutschen Stadt ab. Er kreiste vier Minuten lang über einem leeren Fußballfeld in Stuttgart. Erste kommerzielle Passagierflüge sollen ab 2022 möglich sein.
Bio-Hybrid
Ein neues Mobilitätskonzept, das die Lücke zwischen Fahrrad und Auto schließt – der Bio Hybrid ist ein Mix aus Fahrrad und Auto. Ein E-Bike auf vier Rädern.
Er kombiniert die Freiheit und Wendigkeit eines Fahrrads mit dem Transportvolumen und Wetterschutz eines kleinen Autos.
Es gibt in ihn zwei Varianten, entweder für den Warenverkehr in der Stadt oder für den Passagierverkehr. Es ist vielfältig einsetzbar und der Betrieb ist völlig emissionsfrei.
Fazit der Nutzer: „Der Bio‑Hybrid macht Spaß, ist trendig, urban, umweltfreundlich und gesund.“
Foto Credit: Bio-Hybrid
Das ‚Establishment‘
Auch viele Großunternehmen tummeln sich auf dem Festival. Mein Eindruck von ihren Präsentationen ist gespalten. Einige, wie z.B. Google und Salesforce legen wirklich großes Gewicht in ihre Aktivitäten in Richtung Klimaneutralität und ich neige dazu, ihnen die ehrlichen Bemühungen abzunehmen.
Aber Nachhaltigkeit ist natürlich mehr als nur Schutz des Klimas. Auch der Schutz vor Datenkraken und vor Ausbeutung in undurchsichtigen Lieferketten gehören dazu. Davon war heute aber keine Rede.
Auf der anderen Seite gab es aber auch den Vertreter der Stahlindustrie, der die Stahlproduktion ‚ein kleines bisschen grüner‘ machen möchte, oder den Sprecher einer Automobilfirma, der stolz darüber berichtet, dass sein Unternehmen schon mal Workshops mit seinen Lieferanten zum Thema Klimaneutralität hält.
Verschreibt sich die konventionelle Ökonomie jetzt wirklich der grünen Idee? Können wir Ihnen das glauben?
Wir müssen es. Und wenn es Zweifel gibt, müssen wir alles tun, um sie an Bord zu holen und dort zu halten. Denn es geht nicht ohne sie. Schließlich machen Großunternehmen fast 60% der Bruttowertschöpfung Deutschlands aus und ihr Ressourcenverbrauch und Emissionsausstoß ist entsprechend.
Was wir jetzt brauchen
Einsicht in die Notwendigkeit eines anderen Wirtschaftens und entsprechende Absichtserklärungen gibt es zuhauf. Aber ich habe auch sehr vielversprechende Lösungen gesehen und gute Ideen gehört.
Die wirkliche Herausforderung liegt jetzt in der Umsetzung. Um die zu unterstützen sind gewisse Bedingungen erforderlich, die jetzt geschaffen werden müssen:
Kollaboration: Viele der Innovationen betreffen verschiedene Lebensbereiche gleichzeitig. Deshalb ist es wichtig, dass so viele Interessengruppen wie möglich an der Entwicklung und Umsetzung beteiligt werden, so dass alle ihre Erfahrungen einbringen und voneinander lernen können. Ansätze wie Open Innovation und Innovationsplattformen sind hier hilfreich.
Geld: Neue Wege müssen nicht nur gebaut, sondern auch bezahlt werden. Investitionen und Risikofinanzierung sind unerlässlich, wenn man mutig neue Ideen ausprobieren möchte, aber noch nicht weiß, welche von ihnen dann wirklich zündet. Die klassischen Instrumente der Innovationsförderung und -finanzierung reichen hier nicht immer aus und neue Instrumente bilden sich gerade erst heraus. Hierzu gehören Impact Investing, Crowdfunding, Matching Funds und Hebelfinanzierung.
Infrastruktur: Wenn Neuland betreten wird, mangelt es meist an jeglicher Infrastruktur. Hier ist es anders. Es gibt Infrastrukturen, die dem Erfolg der neuen Technologien im Weg stehen. Sie müssen entweder beseitigt werden oder wir brauchen Strukturen, die gut parallel existieren können. Man denke an Fahrradautobahnen, das WLAN auf jedem Dorfplatz oder Ladestationen für E-Autos.
Gesetzgebung: Nachhaltige Lösungen dürfen nicht im Widerspruch zu einer Gesetzgebung stehen, die im fossilen Zeitalter entstanden ist und entsprechende Technologien als die einzig wahren anerkennt. Hier ist eine mutige und schnelle Politik gefragt.
Ausblick
Eine Agentur zur Umsetzung für Nachhaltigkeitsinnovationen aufzubauen ist nicht einfach, aber Veranstaltungen wie diese motivieren mich immer wieder mit meiner Mission weiter zu machen.
Um die gegenwärtigen Herausforderungen zu meistern, brauchen wir eine Innovationsoffensive. Wir benötigen ein Umfeld in dem Innovationen entstehen, heranwachsen und sich der Realität stellen können, und zwar nicht nur für technologische, sondern auch für soziale, gesellschaftliche und umweltbezogene Innovationen.
Auf dem Greentech Festival kamen Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen und mit sehr verschiedenen Geschichten zusammen, nicht nur die 750 Menschen live im Kraftwerk, sondern auch die 35,000 die sich online dazugesellten.
Sie verfolgen verschiedene Wege, die aber letztendlich alle in die gleiche Richtung führen und mit mehr und mehr Nachdruck und Elan gegangen werden.
Ich besuche viele Events, bei denen es um Innovation, Green-Tech und Nachhaltigkeit geht. Aber selten habe ich so viele ‚traditionelle‘ Firmen gesehen, die sich das Thema auf die Fahnen schreiben.
Das macht Hoffnung.
Auch die Dinosaurier sind ja nicht wirklich ausgestorben. Die Vögel stammen direkt von ihnen ab …